Nachlese 2014

Januar

Neujahr

Brennender FeuerwerkskörperDurch den Raum zwischen den Jahresanfängen nach westlichem und östlichem Kalender schlängelt sich der Faden unserer Übungspraxis weiter. Der Neujahrsabend ist kalt, ein kleines Feuerwerk brennt, die Frösche knallen, wir freuen uns auf das warme Zendo. Es gibt Misosuppe, Pflaumenwein, IGing. Ein unbeschriebenes Jahr ist vergangen.

Während des Stillen Sitzens höre ich eine Uhr leise ticken. Gleichförmig tack-tack-tack. Weder langsam noch schnell, die Zwischenräume still. Mit der Zeit nehme ich winzige Variationen im Klang des tack-tack-tack wahr, ein Scharfrichter mit einem Beil hackt im Rhythmus auf einen Holzklotz. Kleine, flache und starre Holzmenschenfiguren werden unter das Beil geschoben und lauter gleich aussehende Holzstücke fallen hinab in ein Dunkel. Menschensekunden aus Holz, wohin fallen sie.Zum Seitenanfang

Venedig

Rio in VenedigGegen Ende des Monats schlendern und schwimmen wir einen Tag lang in der milden Sonne Norditaliens. Über der Lagune färbt der klare Himmel die Adria blau, frisch plätschern die Wellen des Canalazzo an die Mauern und Säulen der Palazzi und lösen Putz und Steine. Dicke schwarze Schichten Muscheln und Schnecken nagen an den Pfählen.

Das zarte Fassadengespinst der Ca' d'Oro, globig verdeckt von einer Vaporettohaltestelle glänzt längst nicht mehr golden. Ein Zeugnis des kulturellen und wirtschaftlichen Reichtums der mittelalterlichen Handels- und Seemacht ist zur fordenden Last geworden.

Auf die Piazza San Marco werfen die Prokuratien lange Winterschatten. Mobile Deiche stapeln sich vor der Basilica und dienen jetzt im Sonnenschein den wenigen Touristen als Bänke. Grandios die Aussicht vom Campanile, besonders hinüber zu Palladios San Giorgio Maggiore und im Gegenlicht der Nachmittagssonne zu Sta. Maria della Salute.

Gebäude am Canale GrandeDurch dunkle, schmale Gassen tasten wir uns in Richtung Rialto vor, fröstelnd zwischen hohen feuchten Mauern. Es ist still. Lautlos treiben unter den Brücken Gondeln hervor in die schmalen Kanäle hinein, kein Geräusch außer dem Flüstern der Fahrgäste. Verformte Wände drängen heran, Schluchten, feucht und kühl und von der Sonne niemals erreicht. Die verzweifelten, hoffnungslos erscheinenden Anstrengungen, das rollende Rad des Verfalls zu bremsen, füllen die Rios mit dem Schatten der Melancholie. Von Murano aus fahren wir dem glutroten Ball der untergehenden Sonne entgegen.Zum Seitenanfang